#goodvibesonly. Wer kennt ihn nicht,
den Hashtag. Der Hashtag, der unter Bildern strahlender, vor Frohsinn
strotzender Menschen prangt. Gute Laune, Lachen,
Optimismus und nahezu grenzenlose Motivation überfluten die
Socialmedia Kanäle. Daran ist zunächst auch nichts auszusetzen. Den
Fokus auf das Positive im Leben zu richten, kann durchaus auch
positive Wirkungen mit sich bringen. Dies ist aber nicht
zwangsläufig und ausnahmslos der Fall. Kritisch zu betrachten sind die
goodvibesonly nämlich dann, wenn sie einem suggerieren, alle
anderen Gefühle seien zu ignorieren, zu unterdrücken, dass halt only
good vibes „richtig“, „zulässig“ seien. In diesem Fall spricht man von
toxischer Positivität. Ein Optimismus, der wie Gift
wirkt. Warum tut er uns nicht gut? Weil wir Menschen eben nicht
darauf ausgelegt sind, 24/7 365 Tage im Jahr die gleiche Emotion zu
spüren. Unsere Gefühlslagen sind vielfältig, manchmal nicht
einmal so richtig zu beschreiben. Selbst als gut gelaunter
Motivationsmensch wirst du sicherlich Phasen kennen, in denen du traurig
bist, unsicher, verletzt, krank, schwach. Und in eben solchen
Momenten brauchen wir manchmal nicht unbedingt jemanden, der uns zu
zeigen versucht, dass das Leben immer toll ist. Das kann uns das Gefühl
geben, dass unsere negativen Emotionen „falsch“ seien,
dass wir „falsch“ seien, weil wir sie empfinden. Wenn die da das schaffen, immer positiv zu denken, dann müsse man das ja schließlich auch schaffen. NEIN! Du darfst trauern,
meckern, weinen, schreien. Gefühle zu unterdrücken, ist
niemals richtig und erst recht nicht gesund. Dabei ist irrelevant, ob es
sich um positive oder negative Gefühle handelt. Gefühle
gehören ausgelebt. Im Grunde schaffen „die das da“ auch gar nicht,
immer optimistische zu sein und Konfetti zu pupsen. Sie wollen nur, dass
es so aussieht, als ob, weil Optimismus eben gerne
gesehen wird. Goodvibes sind voll im Trend. Smile, behappy,
choosehappiness, dontworrybehappy. Das kommt gut, das generiert viele
Likes. Aber das reallife ist das nicht. Natürlich ist niemand
gezwungen, seine schlechten Tage im Netz öffentlich zur Show zu
stellen, nur um nicht all Day long so gut gelaunt zu wirken. Aber wir
müssen uns immer bewusst sein, dass es sich lediglich um mit
Bedacht gewählte Auszüge handelt.
„Vergiftungserscheinen“ treten häufig
nach Aufenthalten in der Social Media Welt auf. Aber nicht
ausschließlich. Auch im echten Leben gibt es Menschen bzw. dessen
Reaktionen, die aufgrund ihrer zwanghaft optimistischen Einstellung,
wenn man sie gerade nicht braucht, toxisch wirken können.
Symptome
Wie es bei bestimmten Giften möglich
ist, so ist es auch bei der toxischen Positivität nicht selten, dass die
Wirkung langsam, schleichend, zunächst unbemerkt
eintritt. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass man einen
Optimismus, der einem eigentlich nicht gut tut, noch bis zu einem
gewissen Grad „ertragen“ kann. Man versucht, sich selbst
mitunter auch selbst noch davon zu überzeugen, dass man nur eine
andere Einstellung an den Tag legen müsse, bekämpft seine eigenen
schlechten Gefühle noch eine Zeit lang. Vieles davon geschieht
über einen gewissen Zeitraum unterbewusst. Manchmal spüren wir
irgendwann Gräuel, Ärger, Unwohlsein und können das gar nicht direkt
zuordnen, begründen. Bis man an den Punkt gelangt, an dem man
denkt oder brüllt „Du mit deinem Sch*** Optimismus - Das geht mir
aufn Sack!“ Dann war es zu viel. Dann ist das Fass übergelaufen. Wir
bemerken teilweise schlagartig, was uns tatsächlich so
nervt. Und das sind dann weniger unsere eigenen, ursprünglichen
negativen Gedanken, sondern halt viel mehr die Tatsache, dass
irgendjemand uns ständig versucht, deutlich zu machen, dass es keine
schlechten Tage gibt, dass eben solche Gedanken verdrängt werden
sollten, verstaut gehören in die hintersten Ecken unseres Bewusstseins.
Und genau das ist das Fatale an der toxischen Positivität
- sie wirkt wie ein Verstärker auf unsere schlechte Laune.
Dadurch, dass uns unterbewusst suggeriert wird, unser
(zwischenzeitlicher) Pessimismus sei falsch und verboten,
verdrängen wir und es geht uns schlechter, obgleich der eigentliche
Grund unserer schlechten Laune unverändert geblieben ist, vielleicht
sogar bereits verschwunden. Und ehe wir uns versehen, sind
wir übellaunig, obwohl wir gar keine Ursache dafür ausmachen können.
Klar, denn einen tatsächlichen, greifbaren Grund gibt es nun gar nicht
mehr immer, stattdessen tritt die Wirkung des Gifts
ein, das man permanent zu sich genommen hat, ohne es zu bemerken.
Hier sind einige Beispiele, die dafür sprechen könnten (!), dass du unter den Auswirkungen toxischer Positivität leidest.
Wenn du optimistische Posts auf
Social Media Kanälen siehst, scrollst du bewusst schnell weiter und
denkst „Boah ne, nicht schon wieder“
Du liest motivierende Messages und wirst wütend oder noch trauriger
Du hast das Gefühl, mit deinen negativen Gefühlen allein zu sein, dass niemand sonst solche Gefühle zu haben scheint
Du fühlst dich unverstanden und
nicht ernst genommen, wenn du jemandem von deinen Sorgen berichtest, und
dein Gegenüber dann versucht, dich aufzuheitern, zu
motivieren
Jeglicher Optimismus wirkt auf dich geheuchelt und nicht authentisch
Dich quält das Gefühl, dass du
dich niemandem gegenüber öffnen kannst, weil es denen augenscheinlich eh
immer gut geht und sie dich deshalb nicht verstehen
würden
Du bemerkst, dass du deine gute Laune vortäuschst, und du hast das Gefühl, dass du das tun musst
Du bist davon überzeugt, dass Andere dich weniger mögen würden, wenn du mal keine gute Laune hast.
Behandlung
Zumeist ist es jedoch möglich, sich
durch entsprechende Maßnahmen selbst wieder zu heilen. Natürlich klären
sich damit die eigentlichen Probleme im Leben nicht,
aber die Wirkung des Gifts der Positivität schwächt ab und du
erlangst wieder einen klaren Blick auf deine eigentliche Gefühlslage und
ihre Ursachen.
Im Folgenden erhältst du ein paar Vorschläge, wie du dich vor toxischer Positivität schützen oder dich von ihr erholen kannst.
Teile deine Sorgen mit Menschen,
von denen du dich verstanden fühlst. Zumeist sind dies Menschen, die dir
nicht floskelhaft erklären, dass es auch wieder besser
wird, sondern Einfühlungsvermögen zeigen. Sie machen dir
deutlich, dass sie dich verstehen, und dass sie für dich da sind, lassen
dir und deinen negativen Gefühlen Zeit und Raum, bevor es an
konstruktive Lösungsvorschläge geht.
Führe ein Tagebuch, in welchem du
auch „schlechte Tage“ festhältst. Notiere dir dort positive wie auch
negative Gefühle. Versuche, sie so gut es geht zu
beschreiben. Zumeist hilft man sich damit auch selbst schon ein
bisschen.
Wenn dir nach Weinen zumute ist,
lächle nicht zwanghaft in den Spiegel, um dich selbst zu motivieren,
sondern weine. Lass es raus. Manchmal ist das anfangs
schwierig und / oder ungewohnt. Hin und wieder ermahnt man sich
auch selbst, weil man der Meinung ist, die eigenen Probleme seien gar
keine Tränen wert. Aber das ist verkehrt. Wenn dir selbst
danach ist, zu weinen, dann ist da etwas in dir, was gerne raus
möchte.
Wertschätze, dass du in der Lage
bist, differenziert zu empfinden. Verurteil dich nicht für Trauer und
schlechte Laune. Selbst, wenn alle dich als fröhlichen
Menschen kennen, darfst du das auch mal nicht sein, ohne direkt
ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Du bist niemandem auf der Welt eine
bestimmte Emotion schuldig!
Sei dir selbst gegenüber ehrlich.
Es genügt nicht, nur im Social Media der toxischen Positivität aus dem
Weg zu gehen. Wenn du dir selbst gegenüber deinen üblen
Launen verdrängst, wird es dir nicht wesentlich besser gehen. Da
man ja häufig selbst sein eigener, größter Kritiker ist, ist die
Selbstakzeptanz wohl mit der anspruchsvollste Schritt. Denk
immer daran: Gefühle, die nicht ausgelebt werden, stauen sich
an. Weiter und weiter und weiter. Und irgendwann platzt dann eine Bombe
und man wünscht sich, man hätte seine Emotionen viel
früher, viel kontrollierter ausgelebt.
Entfolge Profilen im Social Media
Netzwerk, die dich mit ihren optimistischen Bildern, Sprüchen etc. eher
nerven als motivieren, oder nicht authentisch auf dich
wirken
Merke dir bitte: Optimismus ist jetzt deswegen nicht schlecht!
Lass dich motivieren und inspirieren. Aber nur, wenn es dir gut tut.
Auch bedeutet
es nicht, wenn etwas bei dem oben genannten Punkten (Verdacht auf
„Vergiftung“) auf dich zutrifft, dass du zwangsläufig „vergiftet“ worden
bist und / oder unverzüglich Maßnahmen ergreifen musst.
Optimismus ist etwas ganz Wunderbares! So lange du dich gerne davon
berieseln und inspirieren lässt, so lange es dich zum Lächeln bringt,
fröhlich macht oder wieder aufmuntert. Solltest du aber
bemerken, dass eher das Gegenteil der Fall ist, ist es
empfehlenswert, sich einmal konkret mit sich selbst auseinander zu
setzen und die Möglichkeit der toxischen Positivität als Ursache
zumindest in Betracht zu ziehen.
Prävention
Es gibt jedoch hinsichtlich dieser
Thematik nicht nur die Opferrolle. Manchmal rutscht man auch ganz
unbewusst in die Täterrolle und vergiftet andere Menschen
unabsichtlich. Wenn du zum Beispiel bei Instagram aktiv bist und
dort sehr für Optimismus plädierst, hast du vielleicht auch Follower,
auf welche es toxisch wirken kann. Oder bist du selbst
vielleicht auch im privaten Umfeld jemand, der auf Probleme Anderer
stets mit „Ach, morgen sieht die Welt schon wieder besser aus“ oder „Na,
im Vergleich geht es dir doch gar nicht so schlecht“
oder „Deine Probleme möchte ich haben“ reagiert? Na klar, das meinst
du vermutlich nicht einmal böse. Und auch im Netz kommt dein Optimismus
vermutlich gut an und du solltest ihn auch nicht
ablegen. Dennoch sollten wir achtsamer gegenüber unserer Mitmenschen
handeln. Und dies kannst du zum Beispiel so tun:
Wenn du dich an schlechten Tagen
vor deinen Followern nicht zeigen magst, erkläre ihnen vielleicht
trotzdem ggf. an guten Tagen hin und wieder, dass es dir
manchmal schlecht geht. Kläre darüber auf, dass Social Media
einen ausgewählter Abschnitt bestimmter Situationen und nicht das
tatsächliche Leben widerspiegelt
Baue neben #behappy #goodvibesonly #smile auch mal #itsokaynottobeokay #dubistgutsowiedubist #allfeelingsaccepted Hashtags und Posts in deinen
Feed oder deine Stories ein
Nutze deine Reichweite, um für das Thema „Toxische Positivität“ zu sensibilisieren
Achte auch im privaten Umfeld auf
die Reaktionen deines Gegenübers, wenn du versuchst, ihn zu motivieren.
Manchmal brauchen Menschen einfach nur jemanden, der
sagt, dass er sie versteht, und nicht, dass morgen alles besser
sein wird
Kommunikation ist das A & O. Frage deine Freunde und Familie, was ihnen gut tun würde, was sie sich gerade wünschen
.
#dubistgutsowiedubist
#itsokaynottobeokay
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Ich bin kein Arzt. Dieser Artikel ersetzt keine professionelle
Hilfe. Wenn du an Depressionen leidest und / oder auf der Suche nach
Hilfe bist, setze dich bitte mit einem Experten in Verbindung.
Danke.