Neues vom Buffet

Schade, dachte ich. Nun habe ich den interessantesten Stoff direkt für den ersten Blogbeitrag rausgehauen. Was nun, dachte ich. Aber die Menschen und das Essen, wären ja nicht die Menschen und das Essen, wenn es nicht täglich reichlich neuen Input gäbe! Denn, das ist das Schöne am Essen, das gibt’s jeden Tag. Darauf ist hier Verlass. Deshalb darf ich freudig verkünden: Es gibt Neues vom Buffet! Ich habe meine Hausaufgaben gemacht und gelernt. Zuerst einmal: Wenn du deinen Chip mal nicht dabei hast, schleiche dich nicht schüchtern zum Personal und frage leise nach, ob du auch so ein Gericht bekommen könntest. Wer fragt, bekommt unerwünschte Antworten. „Wenn Sie keinen Chips haben, gibt’s eh immer das Leichtverdauliche (gelber Chip).“

Dann schiebst du dich schuldbewusst zur Ausgabe und murmelst irgendetwas von „vergessen“ und „gelb“ und schwupps hast du den schonend gegarten Fisch mit weichgekochtem Gemüse ohne Soße, anstatt des gebratenen Fischs mit knackigem Kaisergemüse und Rucolasoße. Sei kein Trottl. Mach es, wie ein Profi. Tritt der Tauschbörse bei! Ich Paarchippe jetzt. Alle elf Minuten kommt ein vom Hungertod bedrohter Mensch auf diesem Weg an eine lebensrettende Speise. Ohne Witz. Ich habe nämlich begonnen wie ein Trottl und habe die Servicekraft auf mein Chip-Problem angesprochen. Oben liegen gelassen, komme direkt von einer Therapie. Da wirft von rechts jemand ein, welche Farbe ich denn bräuchte. Ich kann diese Offenheit, wohlbemerkt am Buffet (!), gar nicht fassen und stottere ganz angetan und kurzzeitig überfordert von so viel Aufmerksamkeit „Ähm, oh, wie nett, ich weiß gerade gar nicht mehr so genau“.

Da schaut sie mich ganz gutmütig an und erwidert: „Es gibt ja heute auch Milchreis, aber ich finde immer, man braucht ja auch mal was Deftiges, nicht wahr?!“ Ich stimme ihr sofort zu. Sie hat Recht. Eigentlich war mir nach Milchreis, aber sicherlich wäre es besser für meinen Körper, etwas Nahrhaftes, Warmes zu essen. „Gar kein Problem“, sagt sie und drückt mir den passenden Chip in die Hand. Krass, ich war nun Mitglied der Chip-Börse. Coooool. Plötzlich bemerke ich den Fehler und ich setze an „Aber, wie kommt es denn, dass Sie“ – „Ach,“ winkt sie ab und spricht dann hinter vorgehaltener Hand, uuh ein Geheimnis, weiter, „wissen Sie, ich nehme immer von jeder Farbe einen mit. So kann ich dann spontan entscheiden, was ich haben möchte.“

Jo. Das nenne ich mal gelungene Essensplanung. Ich frage mich, wie viele dieses Prinzip wohl verfolgen. Und wie viele Milchreis’ dann für mich übrig bleiben würden  Ne, im Ernst. Dann braucht es auch keine Chips. Problem gelöst, haha. Dennoch freue ich mich, dass ich an dem Labberfisch vorbeigehen kann, schlendere freudig mit gesundem, dem Körper bestimmt gut tuendem Essen durch den Saal, beäuge sehnsüchtig all den leckeren Milchreis, der ja aber gar nicht attraktiv ist, denn man braucht ja „etwas Deftiges“. Hallt es mir im Ohr, als mein Blick an meiner Wohltäterin hängen bleibt, die den Löffel voll Milchreis genüsslich zum Mund führt. Wow. Ja klar, sie hat ja selbst gesagt, dass sie von jedem Chip (nur) einen hat…

Außerdem habe ich dazu passend gelernt: Man muss bei der Auswahl der Einzuweihenden für die Chip-Börse sehr bedacht vorgehen. Wer nämlich sehr viel Wert auf die Einhaltung der Chipregeln und die damit erhoffte Sicherung seiner Tagesration legt, der verliert im Hinblick darauf auch jeglichen Humor. Bei einem netten Pläuschchen aller auf die Visite wartenden Patienten fiel einem davon plötzlich auf, dass er vergessen hatte, sich am Abend zuvor einen Chip mitzunehmen. „Wie? Gar kein Problem, brauchst du zufällig rot? Ich habe zwei!“ Totenstille. Böse Blicke, entsetzte Gesichter. Alles erstarrt. Oh oh eingeweihte Anti-Tauscher!

Die Hilfsbereite zog sofort die Schultern hoch. „Sorry, ich hab nur vergessen, dass ich schon einen mitgenommen hatte. Wirklich. Also, das will ich aber klarstellen!“ Da entspannten sich die Gesichter wieder. Die bedrohliche, nach vorne gebeugte Position wich der ursprünglichen, offenen Körperhaltung und man lächelte wieder freundlich. Die Hilfsbereite war also außer Gefahr. Vorerst. Mit Sicherheit steht sie unter Beobachtung. Und ich muss einen ganz wichtigen Punkt aus meinem vorherigen Beitrag revidieren. Ich habe inzwischen gelernt: Wer zu spät kommt, verhungert zwar nicht zwangsläufig, aber es erscheint nach neuesten Erfahrungen gar nicht mehr soooo abwegig. Aufgrund der Visite war ich kürzlich nämlich knapp vor Ende der Mittagszeit im Speisesaal. Es gab, wer hätte es gedacht, noch genug Essen. Haha, denke ich noch, als ich wieder das Bild der wilden Tiere zur Buffeteröffnung vor Augen habe, die Deppen. Ich nehme Platz, esse in Ruhe, schaue mich aber immer um, vergewissere mich, dass ich nicht die Letzte im Saal bin. Im Augenwinkel nehme ich bereits Servicekräfte wahr, die mit ihren Wägelchen die übrigen Tische abräumen.

Na, n paar Tische haben sie noch bis zu unserem, denke ich. Ich habe den Gedanken kaum zu Ende gebracht, da taucht plötzlich eine Servicekraft neben mir auf und unterbricht das Gespräch, das ich gerade mit einer Tischnachbarin führe, ungefragt und willkürlich mit „Ist es kalt draußen heute?“.  Ich schaue die Servicekraft verwirrt an. Ist das n Code? ‚Sieh zu, dass du den Teller leer bekommst’ in nett, unauffällig formuliert? Womöglich eine weitere Regel, die bis dato einfach an mir vorbeigegangen war, weil ich sonst immer zeitig beim Essen war. Ich bin verunsichert. Die andere Patientin nicht. „Keine Ahnung, war noch nicht draußen. Es schaut recht windig aus. Und ich hab nur son leichtes, schniekes Strickjäckchen mit“, plaudert sie unbefangen drauf los. „Mhm“, macht die Servicekraft, stellt wohl resigniert fest, dass der Code bei uns keine Wirkung zeigt, sie so auf jeden Fall nicht an unsere Teller kommen würde, und widmet sich vorerst wieder anderen abzuräumenden Tischen.

Es folgt ein Blickwechsel zwischen ihr und der anderen Servicekraft, die daraufhin Mission-Impossible-mäßig nickt und sich gespielt entspannt zu uns auf den Weg macht. Ernsthaft?, denke ich und schlinge den Rest meines Nachtischs herunter. Wir waren übrigens immer noch längst nicht die Letzten. Und ich kann die Ungeduld auf der einen Seite auch verstehen. Die können natürlich nicht auf Jeden warten. Aber wir waren wirklich schon sehr bemüht und hatten aufgrund der vorangegangen Visite auch keine Schuld an der Situation. Ich hatte sogar im Vorwege erfragt, ob das so ginge, ob ich dann noch dort essen könne. Na klar, hatte man mir versichert.

Und in dem Moment, als ich mein leeres Schälchen der gierigen Servicekraft reiche und sie der anderen Patientin das noch gefüllte Schälchen aus der Hand reißt, denke ich „Na, so klar ist das nicht.“ Und wenn man hier nicht Acht gibt, verhungert man zwar nicht, aber, obwohl… Vielleicht hatten wir auch nur Glück, dass wir es überhaupt bis zum Nachtisch geschafft hatten. Jetzt sehe ich mich schon morgen. Bei den Menschen und dem Essen. Ganz vorne an der Tür, den Fuß schon auf der Schwelle, einen geliehenen Krückstock einsatzbereit, wartend, dass die Türen sich öffnen, mit den Hufen scharrend. Gar nicht mal, damit ich auch Essen abbekomme, sondern vielmehr, damit ich es in Ruhe aufessen darf.

Tja, die Menschen und das Essen und ich auch.

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